21.02.2008

Platz 1



Vladislav Delay - Whistleblower

Noch nie zuvor fiel mir die Wahl zum Album des Jahres so schwer wie in 2007. Ich schreibe das nur schonmal vorab, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie rastlos ich in den letzten Tagen mit dieser Frage umging. Theoretisch hätte 2007 zwei erste Plätze verdient gehabt, aber praktisch ist das ja ein ziemliches Herumgeeiere, ein fauler Kompromiss. Also, Augen zu und durch.

Seit sage und schreibe März steht "Whistleblower" nun im CD-Wechsler, und die Frage, dieses bewundernswerte Album ins Regal zu stellen, stellte sich seitdem nicht ein einziges Mal. "I Saw A Polysexual" war vorab der Auslöser für meine Neugier auf diese Musik: seltsam gebrochene Beats, die eigentlich keine Beats waren, vielleicht ein Puls, aber eben doch eine Art Groove ergeben, wie ich ihn noch niemals zuvor hörte. Der endlos tiefdröhnende Bass, der seinen Platz wie ein König einnahm und die Vasallen in unterirdischen Minen dirigierte, drangsalierte, ja möglicherweise gar folterte. Und nach sieben Minuten verschmilzt dieser schemenhafte Geist aus Feuer, Glut und ätzendem Qualm in eine Figur aus Fleisch und Blut, plötzlich ist alles klar. Und wir wissen trotzdem nicht, wie der König das jetzt hingezaubert hat.

Man weiß sowieso so wenig.

Woher die teils gar nicht mal so unterschwellige Aggressivität in Delays Musik herkommt, beispielsweise. Der sich durch die überlangen Tracks (Delay benötigt für sieben Songs knappe 70 Minuten) ziehende Soundteppich, das Grundrauschen beruhigt die Musik eher, als dass er die Säbel rasseln lässt. Und dennoch kommen mir bisweilen Bilder in den Kopf, die nichts von Blümchensex bei Schwebemusik erzählen, sondern recht martialisch und kämpferisch erscheinen, die von harter Arbeit berichten. Ein sehr persönliches Erlebnis geschah im Frühjahr des letzten Jahres, als ich zu der Musik von "Whistleblower" in der warmen Badewanne hinwegdöste und in meinem Halbschlaf Bilder von kleinen Gestalten in einem menschlichen Körper entdeckte, die mit kleinen Spitzhacken und elektrischen Bohrern und anderen Gerätschaften Krebszellen abbauten und bekämpften. Hier manifestierte sich das weiter oben beschriebene Bild von Minenarbeitern in diesem Traum und auch wenn es sich für den ein oder anderen reichlich far-out anhören mag: das war eines der schönsten und wichtigsten Erlebnisse mit Musik der letzten 10 Jahre. Nicht nur aus diesem Grund ist Vladislav Delays "Whistleblower" für mich das strahlendste, großartigste Album des letzten Jahres, und eines der bemerkenswertesten Scheiben des bisherigen Jahrzehnts.

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