11.06.2009

A Voice From The Past


Philip Jeck - Suite: Live In Liverpool

Vinyl-Langspielplatten sind selten auf dem britischen Avantgardelabel Touch Records, umso mehr freue ich mich, das aktuelle Werk des Tüftlers Philip Jeck in den Händen zu halten und an dieser Stelle präsentieren zu können. Sein Vorgängeralbum "Sand" war mir schließlich gar einen Eintrag in meine Bestenliste 2008 wert, und wie Menschen, die in der Metalszene groß wurden so sind, stehe ich offensichtliche auf mehr oder minder komplette Diskografien. Ich arbeite an diesem Makel, aber es könnte sich noch etwas ziehen. Das nur als Vorwarnung.

Dabei könnte man ebensogut und gerade vor diesem Hintergrund darüber diskutieren, ob es denn wirklich notwendig ist, ein weiteres Album von Jeck zu hören oder zu kennen, wenn er mit seiner Musik letztendlich in seinem abgesteckten Rahmen bleibt und man auch hier durchaus ahnt, wie "Suite: Live In Liverpool" klingen wird, wenn seine letzten Veröffentlichungen bekannt sind. Ohne die gefühlte Qualität der "Suite" zu bewerten: kann sie "Sand" etwas beifügen? Können wir von einem Schritt nach vorne sprechen, oder doch eher von einem zur Seite? Spricht "Suite" eine andere Sprache, zeigt es andere Wege, hat es eine andere Wirkung? Im Grunde hat all das nur wenig mit Philip Jeck zu tun, vielmehr sind es eher fragende Mosaiksteinchen in einem größeren Antwortbild von Musik und Musikern nebst deren Selbstverständnis, Erwartungshaltung und Hörverhalten. 

Wer braucht alles von jedem? 

Ich für meinen Teil komme langsam ins Grübeln: will ich wirklich die zwanzigste Techno-/Houseplatte hören, die exakt so klingt, wie die neunzehn Exemplare davor? Will ich wirklich die x-te Touch Veröffentlichung hören, auf der angenehmes Rauschen mit unangenehmen Rauschen verbunden wird, wenngleich nicht selten sehr geschmackvoll und hochwertig? Vor einigen Jahren habe ich mir die Frage für Rockmusik selbst beantwortet: ich wollte es nicht. Oder wenigstens nicht mehr so oft. Ist es möglich, eklatante Unterschiede unter den Künstlern und ihrer Musik zu erkennen, oder ist es letztlich nur ein großer Haufen Instantsuppe, zu welcher jeder ein Körnchen beisteuert? Und welche Rolle spielen die Labels in dieser Diskussion? Ein "Labelsound" ist gut und schön, aber wird man mit der Zeit nicht einfach satt, fühlt es sich nach einigen Jahren nicht so fett und aufgeblasen und bequem an? Oder schützt hier am Ende die generelle Distinktion der veröffentlichten Musik, die die Abgrenzung als Deckmäntelchen für Stillstand und Bequemlichkeit deutet, gar missversteht?

Dabei ist es ziemlich unfair, das Thema angesichts der Jeck'schen "Suite" an zu schneiden, denn auch wenn das Album dem Vorgänger nicht wirklich neue Richtungen hinzufügt, sondern sich in  den Grenzen dessen bewegt, was man rein klanglich gewohnt ist, kann ich mich nur schwer gegen die aus seiner Musik strömenden Faszination wehren. Wie gehabt modelliert Jeck seine Zusammenstellung in erster Linie auf eigentlich ausgemusterten alten Plattenspielern aus den sechziger Jahren zurecht, auf denen er schleierhafte 7-Inch Singles auf den Geschwindigkeiten 33, 45, 75 und 16rpm abspielt. Schleierhaft ist dabei ein gutes Stichwort: warum das alles dann so klingt, wie es klingt, bleibt wenigstens mir im Verborgenen und vielleicht ist das auch der magische Faktor seiner Musik. Nicht die Frage hinsichtlich des technischen Handwerks, sondern in Hinblick auf die Sounds, die Echos, die Verschiebungen und Verwischungen, der aufkommende Nebel, die plätschernden Glocken, die schwingenden und schleifenden Stürme und die schließlich einkehrende Ruhe. 

Jeck spielt die Töne für das Leben und den Tod, für das Vergangene und Vergessene, für die Stimmen die verstummt sind und die Stimmen, denen er mit seinem Werk neues Leben einhaucht. Vielleicht ist es dieser schmale Grat, das Spiel mit dem was war und dem was wird, was die Auseinandersetzung mit "Suite: Live In Liverpool" so befriedigend macht. Demzufolge kann ich die Frage, ob es Sinn macht, sich mit dem Album eingehender zu beschäftigen, klar positiv beantworten.


"Suite: Live In Liverpool" von Philip Jeck ist 2008 auf Touch Music erschienen.

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