15.06.2012

Faith, Hope & Love by King's X - Teil 2




"They probably rule just as hard on their homeplanet. I hope they never go back!" bikeface72, 2011


"Thank God For King's X!" George Lynch, 1988.


Es könnte ein seitenlanger Begeisterungssschrei werden, eine Jubelkaskade aus Gesabbertem mit der blindesten Verehrung gegenüber drei Musikern, wie sie dieser Blog praktisch alle drei Wochen mal sieht - andererseits:"Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt.“(Karl Napp, quatsch: Eichendorff). Nun macht das Trio seit über dreißig Jahren in exakt jener Konstellation Musik; es gibt großartig absurde Anekdoten über die Auswahl von immer wieder neuen Bandnamen zu erzählen, es gäbe herzzerreißend Dramatisches zu berichten, es lassen sich sowohl große Glücksmomente, als auch ozeantiefe Verzweiflung und atemberaubende Tragik in dieser Geschichte finden. Eine Geschichte, die derart umfangreich ist, dass sie an dieser Stelle unmöglich angemessen betrachtet werden kann. Ich lege Wert auf die Feststellung, das es mich traurig stimmt. Aber wie soll ich 32 Jahre voller Irrsinn auf einen Blog pinseln?

Ich kenne den Namen King's X seit etwa 1989, als Andrea Nieradzik im Metal Hammer "Gretchen Goes To Nebraska", die damalige Platte des Monats, geradewegs überschwänglich rezensierte. Einige Monate später lernte ich das Album "Faith, Hope & Love" kennen und lieben. Und seitdem hat mich diese Band begleitet - bis ich sie circa im Jahr 2002 und aus heutiger Sicht völlig unverständlicherweise aus den Augen verlor. Weil ich offensichtlich nicht der einzige war, dem das so erging, folgten schwere Zeiten für die Band. Ein Erklärungsversuch (file under "Rechtfertigung"): meine damaligen Lebensumstände zwangen mich geradewegs dazu, ständig auf der Suche nach etwas Neuem, nach einem neuen Sound zu sein. Ich wollte überrascht werden, am besten jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Und King's X schafften das - wie viele andere Bands zu jener Zeit - nicht mehr für mich. Ihr "Tape Head"-Album aus dem Jahr 1998 war gut, es war härter und grooviger, viel kompakter. Und ich mochte die Platte wirklich sehr gerne, aber ich hatte nach einiger Zeit genug. Den Nachfolger "Welcome Home, Mr.Bulbous" kaufte ich im Grunde aus purer Loyalität. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: ich rede hier ausdrücklich von den Studioalben, nicht von ihrer Liveperformance. Live gehören King's X zu den fünf besten Livebands, die ich in den 23 Jahren, in denen ich mir auf Konzerten die Beine in den Bauch stand und mir die Knie kaputthoppste, habe erleben dürfen. Ihre Platten indes ließ ich für die folgenden Jahre im Regal stehen.

Die Ankündigung eines Livekonzerts im Colos-Saal in Aschaffenburg küsste mich nach Jahren des Dornröschenschlafs im März 2011 wieder wach: ich erinnerte mich an so manch alte Platte (die ich natürlich im Rahmen meines großen CD-Ausverkaufs längst verkauft hatte), erinnerte mich an das großartige Konzerterlebnis und begann damit, mir mit einer Mischung aus aufgehobenen und neu gekauften MP3s eine fiktive Setlist zu erstellen, um mich für das Konzert auf den aktuellen Stand zu bringen. Kurzum: ich verliebte mich neu in das Trio. Zunächst war da auch viel Romantik im Spiel, ein Erinnern an die 90er Jahre, in denen ich den Klassiker "Dogman" rauf und runter hörte. Und ich konnte mir auch wieder ansatzweise das damalige Lebensgefühl zurückholen, als ich "Ear Candy" über Wochen nicht mehr aus dem CD-Player bekam. Das mag für Dich alles nicht so irrsinnig verlockend erscheinen, andererseits habe ich immer öfter den Eindruck, dass ich meine Lebensgeschwindigkeit der letzten 15 Jahre damit erden, einfangen, austrocknen muss, indem ich mich an meine Jugend zurück erinnere. Damit ich kurzfristig einen Platz finden kann, an dem ich mich auskenne, der sicher war - und immer noch ist. Wir verlassen den Bereich der Latte Macchiato-Psychologie übrigens gleich wieder, genau genommen *uhrenvergleich* - jjjjj...jetzt!!

Das erwähnte Konzert war erneut fantastisch, auch wenn sich die Zuschauer vor elf Jahren deutlich mehr bewegten - gut, da waren auch alle elf Jahre jünger. Ich bin in dieser Zeit offensichtlich nicht gealtert, wie ich schnell hinzufügen möchte. Aber wie das aber so ist: keine Euphorie hält ewig. Ich legte ihre Platten im Vergleich zu den zehn vorangegangenen Jahren wieder bedeutend öfter auf, aber die ganz große Welle war erstmal wieder abgeebbt.

Ich habe nun allerhand in meiner Obenrum-Bumsbude gekramt, um herauszufinden, was mich zu diesem neuerlichen Rückfall geleitet hat. Seit gut drei Wochen hänge ich nämlich wieder an der King's X-Nadel, und es ist schlimmgeiler als jemals zuvor. Ich meine mich zu erinnern, dass ich urplötzlich Lust hatte, die beim letzten Konzert gekaufte Live-DVD nochmals anzuschauen, was an sich schon einem Wunder gleichkommt. Ich habe nicht viele Musik-DVDs und ehrlich gesagt schaue ich mir gerade eine Liveaufnahme kein zweites Mal an. Jedenfalls - ich betrachtete das alles also nochmal ganz genau: den langen Schlacks am Bass, der sich nicht mal bücken muss, um sich an seinen Knien zu kratzen und der trotz der mittlerweile unfassbaren 62 Lebensjahre immer noch eine faszinierende Stimme im Hals spazieren trägt. Diesen seltsamen Typen hinter dem Schlagzeug, der roboterhaft sein Kit vermöbelt und dabei bizarre Übersprungshandlungen mit seinem Gesicht aufführt. Dieser Punch! Wenn so ein Schlag anstatt der Snare mal zufällig meine Hand erwischt, liege ich bestimmt acht Monate mit Totaloperation im Spital. Und dann der Hippie-Gitarrist mit John Lennon-Brille, der so minimal-effektiv spielt wie ein Alex Lifeson von Rush, mit einem zu gleichen Teilen differenzierten als auch mörderisch fetten Sound und mit Riffs vom Schlage eines "Dogman" oder "Complain", die, hands fucking down, mit zum Besten zählen, was jemals den härteren Rock "representen" (Ulf, 24, Web-Entwickler, Berlin) durfte. Dann sehe ich den gut 600 Zuschauern vor der Bühne dabei zu, wie sie den Gesang von "Goldilox", dem Klassiker vom Debut "Out Of The Silent Planet", komplett übernehmen. Ich höre unglaubliche Versionen vom Break-Monster "We Were Born To Be Loved", an dessen Ende ich regelmäßig nur noch kopfschüttelnd den Unterkiefer in ein Kellergewölbe Deiner Wahl krachen lasse und von "Over My Head".

Ich erkannte plötzlich auch Elemente in ihrer Musik, die mir selbst zu meinen größten Fanboy-Zeiten verborgen blieben. Ich musste also 35 Jahre alt werden, um das ganz große Bild von King's X zu sehen. Den tödlichen Groove und die brillianten Gesangsharmonien habe ich bereits früher entdeckt. Was nun hinzukam: die Lässigkeit. Die Souveränität. Die unerhörte Originalität. Diese Selbstverständlichkeit. Und vor allem: das Zusammenspiel. Das können also 33 Jahre gemeinsames im Proberaum, in Studios und auf Bühnen stehen anrichten. It's a fucking long way to go.

Im dritten und letzten Huldigungsgesabber: meine fünf liebsten King's X Alben. Stay tuned. Oder auch nicht. Würde irgendwie auch passen.

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