26.07.2016

Learn How To Feel One Note


Eine Premiere nach neun langen Jahren 3,40qm: ein Gastbeitrag. 

Ich freue mich sehr darüber, dass Freund Jens, aufmerksamen Lesern dieses Blogs längst durch Erzählungen über gemeinsame Streifzüge durch Stuttgarter und Frankfurter Plattenläden, indische Restaurants und Weindekanter bestens bekannt, die Einladung annahm und in seinem Text auf sein geteiltes Leben mit dem Talk Talk-Meilenstein "Spirit Of Eden" zurückblickt - und dabei sogar die Kurve zu Metallica (und wieder zurück) hinbekommt.

It's with honor and great pleasure - Hurra & Enjoy! 






TALK TALK - SPIRIT OF EDEN



Ich will Musik spüren. Berührt werden. Musik muss laut sein, Instinkte wecken, in den Bauch treten - und manchmal das Herz kneten. Ich mag keine verkopfte Musik. Dachte ich. Und dann kam Mark Hollis mit seinem Gegenentwurf zum Rock‘n‘Roll. 

Als im September 1988 "Spirit Of Eden", das vierte Album seiner Band Talk Talk, erschien, war ich 16 Jahre alt. Ein Jahr vorher hatte ich das oben angedeutete archaische Gefühlsbeben zum ersten Mal live erleben dürfen: Metallica bei den Monsters of Rock in Pforzheim. An andere Bands dieses Tages habe ich kaum Erinnerungen, aber ich erinnere mich exakt an jenen Moment als das Metallica-Intro über das Gelände waberte. Eigentlich war ich gerade nach hinten gegangen, um mir etwas zu trinken zu holen, plötzlich zog mich etwas in Richtung Bühne. Ich rannte. Ich wollte keine Sekunde verpassen. In den folgenden 45 Minuten zerlegten Metallica das Gelände - und hoben dabei auch meine Welt aus den Angeln. Eine Band auf ihrem Zenit. Hungrig. Gekommen, um die musikalische Weltherrschaft an sich zu reißen. Inzwischen mag ihnen das auf die ein oder andere Weise gelungen sein, ihr Hunger ist dabei definitiv auf der Strecke geblieben. Und nicht nur der. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Fast genau ein Jahr später wurde meine kleine Welt musikalisch erneut erschüttert. Nur diesmal ganz anders - vielleicht sogar noch grundlegender. Immer noch knietief in harten Gitarren watend, wurde ich von meiner Mutter gefragt, ob nicht ich diesmal die Quartalsgabe des Buchclubs auswählen wolle. Gelangweilt blätterte ich im Katalog, kein Metal weit und breit, in meinen Augen und Ohren nur uninteressanter Schund. An einem Cover blieb ich hängen: von Talk Talk kannte ich immerhin ihren 84er Hit "Such A Shame". Also los, einer geschenkten Platte schaut man nicht in die Auslaufrille, so schlecht würde das schon nicht werden. 

Little did I know! Kaum eine andere Platte hat mich seither so tief berührt, so viel mit mir angestellt, sich in all den Jahren nicht ansatzweise abgenutzt. Immer wieder neu, immer wieder elementar. Ein Kosmos. So viele Ideen, so viele Ebenen. Wahnsinn. 

Ich habe mich - sieht man von ersten journalistischen Gehversuchen in der Schülerzeitung ab - immer geweigert, über Musik zu schreiben. Vielleicht aus Angst, sie damit für mich zu entzaubern. Ihr durch die Analyse etwas zu rauben, was für mich essentiell ist. Sich ihr auf anderer als der Herzensebene zu nähern, scheint mir unmöglich. Für diesen Text habe ich es noch einmal versucht. Es will mir nicht gelingen. Den ersten Teil habe ich vor Monaten geschrieben - und mich seither darum gedrückt, im zweiten Teil diese Musik, die mir so unendlich viel bedeutet, beschreiben zu müssen. Im Moment läuft die Platte erneut, es gäbe unendlich viel zu sagen, aber ich kann es nicht. 

Sei's drum, zu "Spirit Of Eden" ist in den vergangenen - bald  - 30 Jahren alles gesagt und geschrieben worden. Das Internet ist voll von Lobpreisungen. Ich müsste mich arg wundern, gäbe es nicht irgendwo wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit dieser 40 Minuten dauernden musikalischen Offenbarung beschäftigen. Aber wer will das lesen? Ich nicht. Noch immer will ich Musik in allererster Linie spüren und von ihr berührt werden. Und das hat keine andere Platte so grundlegend getan wie diese.

Eigentlich hat aber Mark Hollis selbst alles gesagt, was über dieses Album und Musik an und für sich gesagt werden muss: 

“Before you play two notes learn how to play one note — and don’t play one note unless you’ve got a reason to play it.”

In diesem Interview - einem seiner bis heute letzten - erzählt er noch ein bisschen mehr. Ich finde, es lohnt sich zuzuhören:





Erschienen auf EMI, 1988.


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