13.08.2016

Die unglaubliche Leichtigkeit




BROKEN SOCIAL SCENE - BROKEN SOCIAL SCENE


Sie hatten ein Lächeln auf dem Gesicht, ganz bestimmt. 

Das Künstlerkollektiv aus dem kanadischen Toronto demonstrierte mit seinem Magnum Opus aus dem Jahr 2005 wie schon auf dem Vorgänger "You Forgot It In People" die unglaubliche Leichtigkeit des Indierocks. Und das zu einer Zeit, in der es um das Genre gar nicht so gut stand - ich kann auch nicht sagen, dass sich das bis heute grundlegend geändert hätte. Wer will schon „indie“, frei und unabhängig sein, wenn die halbe Welt sich innerhalb musikalischer Plattenbausiedlungen einen goldenen Hintern verdient? Wer will denn im Gegensatz dazu sein Zelt in einem Haufen Matsch aufstellen? Und wie gerne würde ich ab und zu mal Matsch hören!

Die kanadische Szene zur Mitte der 2000er Jahre, ein Auffangbecken für urbane Intellektuelle und Avantgardisten, die den Muff in ihren Betonblöcken nicht mehr aushielten, brachte zur Mitte der letzten Dekade eine Sensation nach der anderen hervor. Broken Social Scene hatten daran großen Anteil, sie gehörten zur Speerspitze und Mitbegründern der damaligen Bewegung. So versammelten sie auf ihrem vierten Album einundzwanzig Musiker, darunter Weakerthans-Drummer Jason Tait, Rapper K-OS und Do Make Say Think-Violinistin Feist, und sie alle bekommen von den beiden Kollektiv-Kapitänen Kevin Drew und Brendan Canning viel musikalischen Auslauf und Freiraum. Da wird drüben bei den "Leicht & Locker"-Kumpels in der Pop Lounge die Cocktailkarte rauf und runter getrunken, dann wackelt man über die Straße zu Sonic Youth und jammt zu schwarzem Kaffee zusammen auf Mandolinen, Trompeten und Posaunen, bevor man beim legendären Postrocklabel Constellation vorbeischaut und sich beim schweren Roten die Köpfe heiß redet. Am Ende des Tages treffen sich alle wieder beim Pop und lassen ihrer Unbeschwertheit freien Lauf. Federleicht, beinahe ätherisch gleiten die Songs an einem vorüber. Soviel Raffinesse und Fingerspitzengefühl für die richtige Melodie und die richtige Stimmung gab es nicht mehr auf einer Platte seit...ja, seit wann eigentlich nicht mehr? 

Manch einer wird zwar besorgt nachfragen, ob sich die ganze Meute nicht hier und da mal verlaufen und eher Kopf anstatt Herz benutzt hat, aber nach vier oder fünf Rundgängen auf dem Broken Social Scene-Parcours findet man sich zurecht und weiß das einzuordnen. Ganz klar: "Broken Social Scene" benötigt bei aller souveräner Lässigkeit einen ganzen Batzen Aufmerksamkeit. Pech für Dich, wenn Du zu busy bist, um zuzuhören - es gibt hier einfach soviel zu entdecken. Falsche Fährten, Geheimtüren und chaotische Labyrinthe aus Trilliarden übereinander gelegter Stimmen, Gitarren, Harmonien und Melodien. Wer bis zum Ende durchgehalten hat, wird mit dem zehnminütigen "It’s All Gonna Break" belohnt, das sämtliche noch offenen Fragen beantwortet und endgültig die Sonne auspackt: Da stehen wir im Licht, lassen uns von diesen wunderbaren Melodien (die Trompeten! Mein Gott, DIESE TROMPETEN!) das Herz wärmen und erkennen: es macht alles Sinn. Alles ist an seinem richtigen Platz. Alles ist in bester Ordnung. 






Erschienen auf City Slang, 2005.

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