28.04.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (4)



PSYCHOTIC WALTZ - MOSQUITO

Mit ihrem dritten Album nahmen Waltz eine musikalische Kurskorrektur vor, und die fiel nicht zu knapp aus. Ich weiß nicht, was zwischen "Into The Everflow" und "Mosquito" passiert ist, aber der Schalter, den die Band ab hier umlegte, war riesig; ich glaube bis heute nicht daran, dass man diese Veränderung noch so mir nichts, dir nichts im Rundordner "Weiterentwicklung" abheften kann. Der Fünfer hatte nunmehr mit der Komplexität seines Debuts und der Tiefe des Nachfolgers nichts mehr am Hut, stattdessen beschränkte er sich auf drei- bis vierminütige ultrakompakte Metalsongs, die weniger progressiv als viel eher psychedelisch und durch die explizit dickflüssige und brutal tiefliegende Produktion des ehemaligen Death und Thrash Metal Produzenten Scott Burns sehr, sehr heavy klangen. Im Rückblick muss "Mosquito" als Übergangsalbum bewertet werden, denn auch wenn die Band mit dem Titeltrack, "Haze One", "Shattered Sky" und "Mindsong" erneut einige Klassiker geschrieben hat, wirken Songs wie "All The Voices", "Only Time" und "Locked Down" unausgereift und orientierungslos. Man hört der Band zwar an, dass sie eine Idee davon hatte, wie ihr künftiger Sound aussehen soll, mit der Umsetzung war sie zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch überfordert.

Stilistisch platzierten sie sich im neuen Soundgewand jedenfalls zielsicher zwischen alle Stühle, was aus diesem Blickwinkel betrachtet für die nächsten Jahre durchaus als Fehlentscheidung betrachtet werden darf. Die Proggies waren angesichts vierminütiger Songs zumindest skeptisch, der Ottonormalmetaller bekam bei mehr als drei Riffs und zwei Breaks pro Song Migräne und die sich 1994 schon längst abschließend formierte Grunge- und Crossovergemeinde rümpfte die Nase und holte das große Schild mit dem damals verbotenen Wort "Metal!" heraus.

Es erscheint vor diesem Hintergrund wenig entgeisternd, dass die Band nach "Mosquito" nicht nur Bassmonster Ward Evans, sondern mit Brian McAlpin auch den so wichtigen Partner an der Seite von Gitarrist Dan Rock verlor. Die jahrelangen, zermürbenden Tourneen, die nicht nur dreistündige Shows, sondern auch keine Day-Offs ausweisen konnten (was die Band bei vollem Bewusstsein zu solch grotesken Himmelfahrtskommandos wie die Strecke Mailand - Hamburg im Klappervan innerhalb eines Tages zwang), waren für den querschnittsgelähmten Gitarristen am Ende einfach zuviel.

Erschienen auf Bullet Proof, 1994.

27.04.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (3)




PSYCHOTIC WALTZ - INTO THE EVERFLOW

"Oh Mann, wie soll man etwas in Worte fassen, das dazu angetan ist, dein komplettes musikalisches Weltbild innerhalb von knapp 50 Minuten aus den Angeln zu heben und neu zu definieren?"
(Wolfgang Schäfer über "Into The Everflow", 1993)

Ich habe mich ehrlich gesagt vor diesem Blogeintrag etwas gedrückt. Die Erinnerung an all die überwältigenden Momente, die ich mit "Into The Everflow" verbracht und erlebt habe, wie ich sie eine Zeitlang tatsächlich mal als zum endgültig besten erkoren habe, was ich jemals hörte, wie mich praktisch jeder Ton und jedes Wort in Extase versetzt....das klingt alles so übertrieben und dick aufgetragen, und ich sehe Euch schon wieder mit einem Grinsen im Gesicht vor Eurem Monitor sitzen und "Haha, der Flo wieder...!" denken oder sogar sagen. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass selbst die überwältigendste und wahrhaftigste Begeisterung all dem am Ende doch nicht gerecht wird. Außerdem ist's geradewegs ein bisschen peinlich, wie sehr ich die Platte und die Band derart vergessen konnte. Wahnsinn. Ich bin geschockt. Ich mein's ernst, ich verstehe das nicht. Jetzt befindet sich "Into The Everflow" seit gut sechs Wochen also im "Aktuell"-Stapel vor der Anlage und ich bin bei jedem Durchlauf von Neuem hingerissen von soviel Schönheit, Intensität und Virtuosität. Was für eine Kunst es sein muss, solche Songs schreiben zu können.

Als ich die Band 1996 zum ersten Mal in der Hafenbahn in Offenbach live sah, im Vorprogramm spielten übrigens die nicht bedeutend weniger beeindruckenden Payne's Gray, wurde es zwischen zwei Songs plötzlich still. Sänger Buddy Lackey stand am Bühnenrand und sprach ohne Mikrofon zu den vielleicht 400 Menschen, deren Blicke an ihm klebten:"Thank You very much. The next song is called "Into The Everflow"". An einer besonders epischen Stelle im Song holte mein Vordermann mit einer großen, ausladenden Geste aus und schleuderte seine Arme zur Seite und nach hinten und wahrscheinlich nach überall hin, während er gleichzeitig seinen Kopf extatisch nach hinten schmiss. Meine Nase wurde von seiner linken Hand mit ordentlichem Schmackes getroffen und entschied sich anschließend dazu, einfach mal drauflos zu bluten. Und ich entschied mich dazu, es einfach mal drauflos laufen zu lassen.

Seriously, what a band! What a record! What a life!

Erschienen auf Dream Circle, 1993.

22.04.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (2)



PSYCHOTIC WALTZ - A SOCIAL GRACE

Niemals sonst habe ich für die Erschließung einer Platte längere Zeit benötigt als für das Debut dieses Quintetts aus dem US-amerikanischen San Diego. Und ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass das gar nichts mit dem berühmten "Schönhören" zu tun hatte, weil meine anfängliche Skepsis und sogar Ablehnung gar nicht das passende Fundament für eine positive Entwicklung legen konnten. Hier war schließlich jahrelang nichts als eine öde Wüste in meinem Kopf. Ich kenne sogar Menschen, die sagen, die Wüste sei also in den letzten Jahren nicht gerade unwüstiger geworden. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Jedenfalls: es mögen drei, vier Jahre ins Land gezogen sein, bis ich bei "A Social Grace" überhaupt mal zum vierten Song vorgestoßen bin, und "there's no fucking joke coming" (Bill Hicks). Und ich wäre wohl ohne die Unterstützung ihres zweiten Albums "Into The Everflow" noch nicht mal so weit gekommen, denn erst als ich diesen geilen Irrsinn verdaut hatte, öffnete sich das Fenster zu "A Social Grace". Der letzte Dominostein fiel, als ich den Text von "Nothing", vielleicht das beste, was jemals gespielt, aber auf jeden Fall gesungen wurde, endlich auch verstand.


not so long ago there was a time
the naive animal was a wiser thing
and these devils that we accept as reality
did not exist here before
nor do I think they were meant to be

they have enshrouded themselves
with the comforts of wealth
inside this temple of material things
which they cling to
all because the hand
was much easier to see than the spirit
and upon the educated discovery of this
they have made their decision
not only for themselves
but for everyone else as well

everything you've ever come to experience
to anyone else here has never been
and will never be

life does not exist
memory is nothing more than photographs
a looking glass to see just where you've been
not what you've been there for
realize your insignificance to the universe
and to infinity

you will have then cast away
the pride of all these things you held so dear
agony and pleasure are a suffering to one another here
the wisest is the fool who realizes he knows
nothing, nothing

turn your back on this misconception
that the body is the temple
it's just the tool of the soul
the brain is only the house of the mind
and soon you'll have to give back
everything you've borrowed for this lifetime
only then you'll find
you have spent all this time
struggling for the wrong things
and all of your works here have been nothing

everything is nothing




Ab dieser sprichwörtlichen Erweckung ging's nur noch bergauf. "Nothing" war die philosophische Quelle, aus der sich meine Verehrung und Begeisterung künftig speisen sollten. Die Tiefe und Mehrdimensionalität in Meisterwerken wie "Halo Of Thorns", dem umwerfenden "Another Prophet Song", "I Of The Storm", "Strange" oder dem ungewöhnlich harten Brecher "Spiral Tower" erschienen plötzlich universell wichtig, viel wichtiger als das, was ich einer Progressive Metal Platte bis dahin zugestanden hätte. Und ich verstand plötzlich auch die ganzen Typen, die bei der Erwähnung des Plattentitels in Freudentränen ausbrachen. Psychotic Waltz waren spätestens nach Veröffentlichung von "A Social Grace" Kult, was sowohl damals wie heute bekanntermaßen ein Synonym für "erfolglos" war und ist. Nicht, dass man sich darüber wundern müsste; die Komplexität in den Kompositionen der fünf Haschköppe hat eben nicht nur meine eigentlich an progressive Sounds gewöhnten Ohren überfordert. Und ehrlich, wer außer einer Handvoll Vollnerds will denn sowas hören?

Das Verrückte daran ist eigentlich nur, wie schnell sich die Verwirrung auflöst, nachdem der Verständnisschalter ein einziges Mal gedrückt wird. Weshalb es mir heute völlig unverständlich erscheint, wie ich hier jemals ein Fragezeichen auf der Stirn kleben haben konnte. "A Social Grace" ist eines der beeindruckendsten Debuts aller Zeiten und qualitativ im Prinzip auf einer Ebene mit den ersten, wegweisenden Werken von Iron Maiden oder Metallica, minus deren Erfolg und Einfluss.

Erdacht, komponiert, gespielt und produziert von fünf absoluten Ausnahmemusikern.

Erschienen auf Rising Sun Productions, 1990.

21.04.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (1)




Ich habe seit sicherlich seit mehr als zehn Jahren keine einzige Psychotic Waltz Platte gehört und habe zugegebenermaßen im Grunde auch nichts vermisst.

Alleine für diesen Satz müsste ich mir beide Hände abhacken lassen und eine Kniespiegelung ohne Narkose verordnet bekommen, weil Waltz eben nicht nur zu den wichtigsten Bands in meinen 90er Jahren zählten, gleichfalls aber auch ein großer Einfluss auf meine eigene Musikerlaufbahn waren. Man hört das meinem Krempel im Jahr 2013 vielleicht nicht mehr so zwingend an, aber vor allem gesanglich haben die unzählige Male mitgesungenen Songs ihre Spuren hinterlassen. Andererseits waren Waltz vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts SO wichtig, dass ich ihre Songs, Achtung, Pathos: sowieso immer mir mir herumtrage. In den letzten vier Wochen habe ich mich davon ausgiebig überzeugen können. Und diese Rückkehr gehört in diesen Blog.

Von zwar nur vereinzelten, dafür aber umso intensiver auftretenden Rückfällen abgesehen, bin ich nicht wirklich in der Vergangenheit angekettet, eher schon ließe sich das Gegenteil behaupten. Meine beinahe tägliche Suche nach neuer Musik lässt darüber hinaus auch nur wenig Raum übrig, um den Blick über das Plattenregal schweifen zu lassen. Anfang März klickte ich fast schon beiläufig auf ein Livevideo der Band aus dem Jahr 2011, aufgenommen aus dem Publikum in der Frankfurter Batschkapp. Was folgte war ein Synapsenkollaps, in erster Linie ausgelöst von den zentralen Fragen: Die spielten in Frankfurt und ich war nicht da? Seit wann gibt's die denn wieder? Warum gibt's die wieder? Und zum Abschluss: Ich war wirklich nicht da, ne?!

Nach ihrer Auflösung im Jahr 1997 wurde es still um die Bandmitglieder. Sänger Buddy Lackey lebte einige Jahre in Wien und stellte dort sein Projekt Deadsoul Tribe zusammen, Gitarrist Dan Rock nahm zwei instrumentale Soloalben unter dem Namen Darkstar auf (kurioserweise in demselben Proberaumkomplex, in dem meine damalige Band das Hauptquartier hatte), und von den anderen Jungs war außer Kommentaren wie "Die führen einen Plattenladen und kiffen den ganzen Tag" nichts zu hören. Nun ist's wohl allgemein bekannt, was ich von Reunions im Allgemeinen halte, was mich dummerweise nicht davon abhält, im Speziellen doch mal schwach zu werden, sofern es sich denn qualitativ lohnen mag. Und es lohnt in 9 von 10 Fällen nicht. Eine Mischung aus dieser Indifferenz und der vermuteten Überwindung meiner früheren Progressive Rock-Abhängigkeit brachten mich wohl dazu, der Batschkapp an diesem Abend fern zu bleiben. Außerdem: Psychotic Waltz reisten im Vorprogramm der Hampelmänner von Nevermore durch's Land. Noch Fragen?

Arschlange Rede, noch längerer Sinn: bei dem Video handelte es sich um den Titeltrack des zweiten Albums "Into The Everflow". Jetzt ist es so....wenn mich 1997 jemand gefragt hätte, was denn meiner Meinung nach der beste Song aller Zeiten sei, so allumfassend und wirklich allesallesalles berücksichtigend, dann hätte ich wohl "Into The Everflow" geantwortet. Und auch wenn die letzten 16 Jahre nun ganz offensichtlich nicht spurlos an der Stimme von Buddy Lackey vorbeigezogen sind, war ich unfassbar angefixt. So unfassbar angefixt, dass ich mich in den folgenden drei Wochen ausgiebig durch ihre vier Studioalben tauchen sollte.

Ich hab' Bock.



14.04.2013

Whitey On The Moon



Was all that money I made las' year
for Whitey on the moon?

How come there ain't no money here?
Hm! Whitey's on the moon 

Y'know I jus' 'bout had my fill
of Whitey on the moon

I think I'll sen' these doctor bills,
Airmail special
to Whitey on the moon

13.04.2013

Fairy Godmother



CASSANDRA WILSON - POINT OF VIEW


Für diejenigen unter meinen Lesern, die meine Vorlieben in Sachen Jazz kennen, dürfte die Erwähnung ausgerechnet dieses Cassandra Wilson Albums keine Überraschung darstellen, selbst dann nicht, wenn das Veröffentlichungsjahr von "Point Of View" in meinen toten Winkel fällt. Jazz aus den achtziger Jahren, im konkreten Fall von 1986, muss mir nicht unbedingt auf den Plattenteller fliegen. Und tut es für gewöhnlich auch nicht. Platten mit der Beteiligung des Posaunisten Grachan Moncur III hingegen nehme ich mit Kusshand in die Sammlung auf, da kümmert mich auch das Jahrzehnt nicht. Moncur ist auf Wilsons Debut zusammen mit Jean-Paul Bourelly (Gitarre), Steve Coleman (AltSax), Mark Johnson (Schlagzeug) und Lonnie Plaxico am Bass zu hören.

Disclaimer: Ansonsten meide ich für gewöhnlich auch die Jazzgitarre so sehr wie Frei.Wild-Fans den Duden, das Gehirn oder saubere Unterhosen, aber ich bin ja total offen für Neues, optional auch total bekloppt, mache mir die Welt widdewiddewie sie mir gefällt. Und so weiter.

"Point Of View" ist eine inhaltlich lose Zusammenstellung von eineinhalb Eigenkompositionen von Wilson, darüber hinaus lassen sich Coverversionen von "Blue In Green" von Miles' "Kind Of Blue"-Album und "I Wished on the Moon" von Dorothy Parker und Ralph Rainger Coleman finden. Coleman steuert "Never" und "Desperate Move" bei, Gitarrist Bourelly den, wie es sich für einen Jazzgitarristen gehört, furchtbaren Rausschmeißer "I Thought You Knew". Herzstück, wie sollte es anders sein, ist indes die Neuinterpretation von Moncurs "Love And Hate", ursprünglich auf Jackie McLeans fantastischem "Destination...Out!"-Album von 1963 zu hören. Das Ensemble verschafft sich nicht zuletzt durch das Gesangsarrangement von Wilson einen völlig neuen Zugang zu dieser ursprünglich windschiefen Komposition, die hier erstmals als abgeschlossen und rund erscheint. Der Charme des Originals bleibt dabei zwar auf der Strecke, der stimmige Ersatz entschädigt allerdings für diesen Verlust.

"Point Of View" war der Startschuss für eine bis heute anhaltende und ausgesprochen erfolgreiche Karriere der US-amerikanischen Sängerin. Auch wenn ihre späteren Alben den Mainstream nicht nur streiften, bleibt über die gesamte Schaffensperiode ihr freier Geist, ihre Experimentierfreude und Ihr Streben nach neuen Blickwinkeln in ihrer Musik erhalten. Vor allem der Einsatz ihrer ungeheuerlich variablen Alt-Stimme mit diesem kehligen, bluesigen, rauchigen Stamm, hier besonders in ihren eigenen Songs "Square Roots" und "I Am Waiting" als freies Instrumentalschwebeteilchen zu bewundern, macht ihre Arbeit unvergleichlich und nach Sekundenbruchteilen identifizierbar. "Point Of View" ist, wenngleich keines meiner Lieblingsalben, ein spannender und früher Einblick in den Start einer großen Karriere und ein regelmäßiger Gast auf dem Plattenteller.

Erschienen auf JMT, 1986.

08.04.2013

Alte Schule

Viking standen selbst in ihrer Blütezeit zu Ende der 1980er Jahre und selbst in gedimmten Licht betrachtet bestenfalls in der dritten, vielleicht sogar in der vierten Reihe der großen Thrash Metal Bands. Sicherlich hinter Overkill, Exodus und Forbidden, hinter Metallica, Slayer und Anthrax sowieso. Trotzdem habe ich einen kleinen Narren an der Band gefressen, weshalb ich sie an dieser Stelle bereits mit ihrem Debut "Do Or Die" vorstellte. Vor einigen Monaten verriet mir das Internet, dass sich die Combo wieder zusammenraufte und sich außerdem mit Drumriese Gene Hoglan (u.a. ex-Dark Angel) verstärkte. Den Bass spielt kein geringerer als der ehemalige Dark Angel Viersaiter Mike Gonzales. Und auch wenn der zu Dark Angels "Leave Scars" und "Time Does Not Heal"-Line-Up gehörende Brett Eriksen es leider nicht zurück zur Band schaffte, so ist es doch wenigstens Ron Eriksen am Gesang und der Gitarre, der das angedachte neue Studioalbum der Band aus Los Angeles ziemlich nah an ein (neues) Dark Angel-Album heranrücken lässt. Wie es ein Kommentar auf Youtube ganz richtig schrub:

"Probably the closest thing we'll get to a new Dark Angel album."

Die vorab präsentierten Rough Mixes von zwei neuen Tracks lassen den Old Schooler aufatmen: noch ist eine Plastikproduktion weit und breit nicht in Sicht und man kann nur die Daumen drücken, dass sich Viking nicht an dem Fehler der Kollegen von Heathen orientieren, die nach einem gandenlos guten Demo aus dem Jahr 2005 eine aufgespritzte Botox-Produktion für ihr Comebackalbum wählten und es, wenn auch nicht ausschließlich damit, ziemlich unerträglich werden ließen - die Songs waren immerhin auch ganz schön mittelprächtig.

Auch wenn also die vergangenen Reunionalben von alten Helden wie Forbidden, Heathen und meinetwegen ja auch gerne die seit 2004 an trüber Verredneckisierung leidenden Exodus, es eher ganz flüssig in die Leinenhose laufen ließen, und ich diesbezüglich mittlerweile mehr als vorsichtig geworden bin, steht der Zeiger für eine neue Platte von Viking bislang noch auf einem satten grün. Als Beweis füge ich den neuen Track "An Ideal Opportunity" hier ein.





Eine kleine Anmerkung am Rande: ob der Anfang der 1990er Jahre zum wiedergeborenen Christen "konvertierte" Ron Eriksen (ein Schicksal, das er übrigens mit Dark Angel-Sänger Ron Rinehart teilen musste - die Parallelen zwischen beiden Bands sind ja schon fast beängstigend) gleich einem offensichtlich lobotomierten Dave Mustaine textlich und, was noch schlimmer wäre, ideologisch ins Jahr 8000 vor Christus zurückgeplumpst ist, weiß ich noch nicht. Ich will's allerdings herausfinden, ich will so eine Scheiße schließlich nicht hören.

Käse & Kopfnicken



MISTER JASON - SON OF FRANKENSTEEZ


"Son Of Frankensteez" ist das Follow-Up zum 2011er "Frankensteez"-Album des Bostoner Rappers Mister Jason. Auf elf Tunes remixen sich J-Zone, DJ Format, The Herbaliser und noch eine gute Handvoll mehr MCs wie Nabo Rawk, K-No Supreme, Rain, CheckMark und General Stoor sowohl durch Songs des Albums, als auch durch drei neue Cuts. Höchste Zeit, dass ich darüber mal ein paar Worte verliere, da der Mann in Deutschland ganz offensichtlich noch ein fast vollständig unbeschriebenes Blatt ist. Ein Umstand, der sich durch diesen Post natürlich grundlegend ändern wird. Beziehungsweise Rabimmel, Rabammel, Rabumm.

Ich wurde erstmals durch ein virtuelles Mixtape des Ghettoblaster Magazins auf Mister Jason aufmerksam. Es war ein Samstagmorgen, es war Sommer, und Peter Maffay brachte mir und der Herzallerliebsten gerade frischen Kaffee ans Bett ich saß mit der Herzallerliebsten gerade am Frühstückstich, als mich "Black Angel" ziemlich sehr doll sehr wuschig werden ließ. "Black Angel" ist eigentlich furchtbar albern, fast schon cheesy, aber der Groove und der clevere Gitarrenloop machen's wieder wett. Beziehungsweise: wenn ich mir am Frühstückstich den Nackenwirbel ausrenke, gebe ich keinen Fick auf Cheesyness.



Was mich nun auch bei dieser saucoolen Platte pures Rosenwasser urinieren lässt: Mister Jason hat mit dem leider immer noch aktuellen Gangsta Hip Hop und dieser Frechheit, die sich tatsächlich und ebenfalls immer noch R'n'B nennen darf, nichts am Gemächt, quatsch, Hut. Die Wahrheit ist, dass ein großer Schöpflöffel eine angemessen scharfe Jazz-, Beat-, Funk- und Soul-Suppe umrührt, die mich an erster Stelle an die durchgeknallte Son Of Bazerk-Truppe aus der güldenen HüpHöp Zeit Anfang der neunziger Jahre erinnert. Der Humor und die Selbstironie, die sich ja auch im verlinkten Video zeigen, ist das vielzitierte Salz in dieser Suppe und auch die dem grünen Vinyl beigelegte Frankenstein Gesichtsmaske zeigt: in einer Szene, die zum Lachen in den Keller geht, nimmt sich der Kerl hier nicht allzu ernst. Und das das muss man feiern. Ich tu's, denn der Kram ist heiß und sexy.

Erschienen auf Fort Point, 2012.


04.04.2013

Neunziger (7)



SECRECY - ART IN MOTION

Platten neu erleben, Teil 179. Weil manches eben ein bisschen länger dauert.

An einem späten Sonntagabend im Jahr 1990 hörte ich erstmals von Secrecy. Als sich der Hessische Rundfunk noch eine "Hard'n'Heavy" betitelte Themensendung im Programm leistete und sich die deutsche Metalprominenz ins Studio holte. An diesem Abend war es der damalige ex-Destruction Bassist und Sänger Schmier, der sein erstes Headhunter-Album "Parody Of Life" vorstellen durfte und auch noch während der restlichen Musikauswahl von Moderator Till Hofmeister auf Sendung blieb. Hofmeister schob, nachdem eigentlich schon alles gesagt war, das Debut von dieser Combo aus Bremen in den CD-Schacht, ließ das epische "Last Of The Dynasty" über den Äther marschieren, und Schmier rumpelte nach diesen sieben Minuten "S...sehr gute Band. Sehr, sehr gute Band. Gute Band." ins Mikrofon. "Last Of The Dynasty" war vielleicht ein bisschen cheesy und die Stimme von Peter Dartin war durchaus gewöhnungsbedürftig, aber diese Melodien! Diese Breaks! Diese Komplexität! Ich kaufte die CD wenig später, und ich muss aus heutiger Sicht zugeben: ich war dafür noch eine Spur zu jung. Ich mochte "Art In Motion" und ich habe die Platte auch ausgiebig gehört, aber so richtig geschnallt habe ich sie nicht.

Was mir eigentlich erst vor drei Wochen aufgefallen ist, als ich das Vinyl im Plattenladen für lumpige acht Euro herumstehen sah und nicht widerstehen konnte. Die CD hatte ich beim Großreinemachen vor ein paar Jahren verkauft, aber ich hatte wieder Bock auf die Platte - und schon beim ersten Anhören hat sie mich förmlich weggeblasen. Buben, Mädels: das war 'ne deutsche Band, ne?! Im Jahr 1990! Da hatten die deutschen Fußballspieler und Weltmeister noch Oberlippenbärte und galten als sexy. Und die Jungs hier kamen noch dazu - no offense! - aus Bremen.

Über Karl-Uwe Walterbach und sein Noise-Label lässt sich zweifellos das ein oder andere Sujet diskutieren, auf sein überaus feinsensoriertes Näschen für geilen, neuen, frischen Stoff lasse ich hingegen nichts kommen. Secrecy bauten ihre Musik auf einem verproggten Speed/Power Metal Fundament auf, das völlig untypisch für die damalige Zeit weniger bis gar nicht an die anderen teutonischen Metalbands wie Helloween, Running Wild oder Grave Digger erinnerte, sondern tatsächlich an US-amerikanischen Power Metal von Sanctuary und Fates Warning einerseits und an der Sucht nach Melodien von Iron Maiden andererseits angelehnt war. Der wahre Clou dieser Band war aber der bereits erwähnte Mann am Mikrofon: Peter Dartins Gesangsstimme und seine Akzentuierung waren sehr ungewöhnlich, seine Melodien waren vom Naheliegenden auch ganze Universen entfernt, aber dass der Kerl überhaupt darauf kam, über dieses verworrenene, komplizierte Riffgewurschtel im Hintergrund diese großen, opulenten Melodiebögen zu singen und was diese dann mit dem Charakter der Musik anstellten: da ziehe ich meinen Hut, beziehungsweise die Hose beziehungsweise: aus. Ich erkenne das erst ächzend langsam, aber je öfter ich "Art In Motion" höre, desto deutlicher wird, wie großartig und ideenreich diese Musik war.

Achtung jetzt, Flo lehnt sich aus dem Fenster: eines der fünf besten deutschen Metalalben aller Zeiten.

Erschienen auf Noise Records, 1990.

02.04.2013

Tout Nouveau Tout Beau (7)


FUNCTION - INCUBATION

Function aka David Sumner stammt weniger aus dem Sandwell District-Dunstkreis, als viel mehr direkt aus deren Epizentrum und hat mich durch mehrere Maxis das ein oder andere Mal ziemlich um den Finger wickeln können. Sein Debutalbum über Ostgut Ton führt diese Serie großzügig fort, denn ich zappelte schon nach vierdreifünftel Sekunden des noch umschmeichelnden Openers "Voiceprint" am Haken. Der Drive der folgenden Stücke ist geradezu unmenschlich, fast schon schmerzhaft. Function hetzt mich von einer dunklen, abgeranzten Gasse in die nächste, die Tunes sind unbehaglich und wirken gestresst. Hier regiert nicht die Tiefe und die Wärme, hier regiert der eiserne Groove und die verdammte Bassdrum, die wie ein Vorschlaghammer alles kaputtdotzt.

Wenn Voivod Science Fiction Metal sind, dann ist Function Science Fiction Techno. Es sollte schon mit Erika Steinbach zugehen, wenn "Incubation" im Jahr 2013 noch von einem anderen Technoalbum abgefangen werden würde. Kinder, wo sind die Drogen?

Erschienen auf Ostgut Ton, 2013.




HANNIBAL MARVIN PETERSON - THE TRIBE

Das Amsterdamer Label Kindred Spirits hat mit "The Tribe" einen verschollen geglaubten Schatz geborgen. Das Debutalbum des Trompeters Hannibal Marvin Petersons sollte ursprünglich 1979 veröffentlicht werden, es erschienen aber nie mehr als eine Handvoll Testpressungen, die in den letzten drei Dekaden bei Sammlern bizarre Werte im viertselligen Bereich erzielten. Das Album, aufgenommen mit Hilfe eines 13 köpfigen Kollektivs, gilt als vergessene Perle des Spiritual Jazz im Zeichen der bedeutenden Pharaoh Sanders, Alice Coltrane und Rashied Ali-Werke aus den siebziger Jahren. Wenngleich anschmiegsamer als die genannten Vergleiche, groovt der Tribe sehr ordentlich und angemessen benebelt durch fünf Aufnahmen, die bedeutend weniger tranig sind, als man das bei bloßer Genrebezeichnung im Ohr haben könnte.

Vergleiche mit Max Roachs "We Insist!"-Album, sowohl den Schmerz als auch die Extravaganz betreffend, sind durchaus legitim.

Erschienen auf Kindred Spirits, 2013.




DEXTER STORY - SEASONS

Bock auf geile Hippiegedröhnschunkelei, live von der Strandpromenade in Los Angeles, auf Rollschuhen, mit Blumen im Haar, Love'n'Peace, Wärme, Sonnenstrahlen, Vanilleeis und leichte Lektüre aus der Harlem Renaissance? Dann muss "Seasons" unser aller Sommerplatte des Jahres 2013 werden, und ich kann es ehrlich gesagt gar nicht erwarten, dieses Album zu den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings zu hören.

Is it smooth? Hell yeah! Is it warm? You bet! Ist es banal oder cheesy? Not a friggin' second. Das farbenfrohe und positive Cover weist schon darauf hin, was es hier gibt: tiefenentspannte, emotionale, lebensfrohe Soulmusik.

Kann es jetzt bitte endlich, endlich, endlich Sommer werden? Fick' dich weg, Winter!

Erschienen auf Kindred Spirits, 2013.