09.10.2017

Haut und Knochen




RIVERDOGS - BONE


"Bone" ist das beste Melodic Rock Album, von dem Du noch nie gehört hast. Aber das lässt sich ja zum Glück ändern. 

Es erinnert mich außerdem regelmäßig an meine überraschenderweise immer noch bumsfidel vor sich hinquietschende Liebe zu klassischem, teils vom Blues beeinflusstem Hardrock, der auch die jahrelange Auseinandersetzung mit Jazz und avantgardistischem Elektrogeplucker nichts anhaben konnte: zu Great Whites "Can't Get There From Here", Magnums "Goodnight L.A." und Badlands' "Voodoo Highway" falle ich auch über 20 Jahre später noch ehrfurchtsvoll in den Staub, beziehungsweise in die Spandex-Sammlung. "Bone" passt locker in die Reihe der großen musikalischen Pornoschnorres der 1980er Jahre, ist dabei stilistisch bedeutend näher an sagenwirmal: Whitesnake oder den beiden Großtaten von Badlands als an den zumindest in Teilen diskussionswürdigen Sleaze- und Glam-Rockern wie Mötley Crüe oder Poison. Der Clou: "Bone" erschien im Jahr 1993 und damit nach dem Großreinemachen des Grunge. Als Cobain, Cornell und Vedder als menschliche Laubbläser durch die Flure der Majorlabels sausten und gleich einen ganzen Wald an alten Helden kahl pusteten, schien diese Truppe bereits geschlagen: das 1990 veröffentlichte und etwas leichtgewichtige Debut "Riverdogs" brachte auch unter der Führung des Gitarrensupermanns Vivian Campbell nicht den gewünschten Erfolg, sodass zunächst das Label und anschließend Campbell die Segel strichen. Wundersänger Rob Lamothe und der nach dem Ausstieg Campbells vom Bass zur Gitarre gewechselte Nick Brophy gaben indes nicht klein bei, sondern luden zunächst eine Handvoll Fans, Freunde, Journalisten und Labelvolk zu einer nächtlichen Aufnahmesession in einen Proberaumkomplex im Norden Hollywoods ein und begaben sich mit dem dort mitgeschnittenen und im Anschluss veröffentlichten Livealbum "Absolutely Live" auf die Suche nach einer neuen Plattenfirma.

"Bone" erschien ein Jahr später auf dem deutschen Dream Circle Label (damalige Heimat von u.a.  Psychotic Waltz, Enchant und den wahnsinnigen Civil Defiance) - und ging erwartungsgemäß völlig unter. Selbst die Lobet-und-Preiset-Rezension von Holger "Alternative Zappelbude" Stratmann im Rock Hard - Zitat:"die RIVERDOGS sind nun mal die beste und unterbewertetste Band unserer Zeit" - änderte daran nichts. Die Welt war im Grunge-Fieber, und Musik, die so klang als hätte der Sänger durchgängig einen melancholisch erigierten Penis, wenn er mit ordentlich Fellatio Falsetto in der Unterhose "Love Is Not A Crime" bis zur Beinahe-Bewusstlosigkeit schmetterte, hatte in diesem musikalisch derart radikal veränderten Klima weniger Erfolgsaussichten als eine Intellektuelle auf dem Parteitag der Jungen Union. Oder eine vegetarische Bratwurst auf dem Grillfestival "Augen, Hirn und Hals - der Darm erhalt's!". Es kam also, wie es kommen musste: die Riverdogs lösten sich auf. Brophy und Lamothe verfolgten in den kommenden Jahren Solokarrieren, Vivian Campbell hatte es schon längst zum lukrativen Engagement bei Def Leppard gezogen. 

"Bone" ist ernsthafter, erwachsener und von absoluten Vollprofis ausgedachter Monster-Feeling-Hardrock, der selbst unter "stengen Maßstäben" (Schäuble) locker in der Champions League kicken sollte, wenn nicht müsste: Lamothe und Brophy haben ein todsischeres Gespür sowohl für klischeefreie Melodien und Hooklines, als auch für die Notwendigkeit, bei aller Gelassenheit den Drive von der Leine zu lassen, wenn denn der Song erfordert. Der flotte Opener "The Man Is Me" oder das mit großem Refrain ausgestattete "Two Birds" sind in diesem Sinne prächtige Paradebeispiele für stilvolles Songwriting aus Kraftfutterhausen. Mein persönliches Highlight ist indes "Revolution Man" mit seinem betörenden Groove, der auch nicht zuletzt dank der Lagerfeuer-In-Der-Wüste-Aura Erinnerungen an die ersten drei Tribe After Tribe-Klassiker weckt. 

Die Riverdogs machen seit 2011 und dem Comebackalbum "World Gone Mad" wieder gemeinsame Sache und veröffentlichten im Sommer 2017 gar den Nachfolger "California". Als Einstieg empfehle ich jedoch dieses vergessene Juwel aus einer anderen Zeit - freilich vorausgesetzt, es liegt eine grundlegende Affinität zu solchen Sounds vor. Und sei sie auch nur mit dem Elektronenmikroskop erkennbar: das hier ist für Dich. 




P.S.: Leider gibt es "Bone" nicht auf Vinyl und es ist angesichts der überschaubaren Erfolgsaussichten sehr unwahrscheinlich, dass sich an diesem Zustand in der Zukunft etwas ändern wird. Wer immer noch auf Haptik und so steht, muss für die (längst aus der Produktion genommene) CD-Version für gewöhnlich etwa 20 bis 25 Schleifen investieren. 


Erschienen auf Dream Circle Records, 1993. 


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